Kommunikation

Lach’ dem Säbelzahntiger ins Gesicht

Vor kurzem war ich Teilnehmerin in einer Fortbildung, in der es um Körpersprache ging. Der Referent hatte einige interessante Aspekte aufgeworfen und durchaus spannende Studien angeführt. Doch dann ließ er folgende Bemerkungen fallen:
„Wenn unsere Vorfahren einem Säbelzahntiger in der Steppe begegneten, dann blieben nur zwei Möglichkeiten: Fight oder flight!“
„Männer wollen ihren Samen einfach nur an so viele Weibchen wie möglich verteilen.“
„Frauen suchen das potente Männchen für den Sex, aber den verlässlichen Mann für die Aufzucht ihrer Kinder.“

Und diese Programme liefen natürlich auch noch im modernen Menschen ab. Das ist seine wahre Natur. Das bestimmt unbewusst und fundamental seine Kommunikation und sein Verhalten. Ob man will oder nicht.

In solchen Momenten würde ich ehrlicherweise am liebsten den Seminarraum verlassen. Die Tür könnte mit einem riesen Knall ins Schloss fallen. So ärgerlich macht mich das.
So möchte ich hier meine Gedanken kurz skizzieren, in der Hoffnung dass mir bald keine Säbelzahntiger mehr im Seminarraum begegnen. Denn nach meiner Meinung ist Evolutionspsychologie nicht in der Lage unser komplexes Kommunikationsverhalten zu erklären. Nach meinem Verständnis ist der Mensch genauso ein kulturelles wie ein natürliches Wesen, weshalb es eine absolute Verkürzung und Simplifizierung der menschlichen Psyche darstellt, evolutionspsychologisch zu argumentieren. Doch betrachten wir eines nach dem anderen.

Was ist überhaupt evolutionäre Psychologie?
Die Evolutionspsychologie ist ein Ansatz, der versucht das Verhalten und das Erleben des modernen Menschen durch Erkenntnisse über seine stammesgeschichtliche Entwicklung zu erklären. Die kulturelle Entwicklung sei in den letzten paar tausend Jahren so rasant vorangeschritten, dass die evolutionäre Anpassung dabei aber nicht Schritt halten konnte. Das Credo ist folglich, dass in uns allen noch der Steinzeitmensch mit seinem Steinzeitgehirn schlummert. Oder gar mehr noch: wir sind bis heute Steinzeitmenschen im modernen Gewand.

Man kann nicht leugnen, dass diesem Gedanken eine gewisse Plausibilität anhaftet. Und deshalb werden gerne solche Bilder und Geschichten mit Säbelzahntigern, Lagerfeuern, Höhlen und traditionellen Rollenbildern bemüht. Denn wenn ich mir vorstelle, dass jetzt ein Säbelzahntiger vor mir steht, dann würde ich ja auch schnurstracks das Weite suchen. Ich frage mich jedoch, ob diese Bilder und Geschichten nicht viel mehr über uns und unser Zusammenleben heute aussagen, als über unsere Vorfahren vor mehreren Tausend oder Millionen Jahren?
Gerade unerwünschtes Verhalten kann durch evolutionäre Ansätze vermeintlich erklärt werden. Doch viel zu leicht wird es dadurch auch entschuldigt. Man kann ja nichts dagegen tun. Das ist „Natur“. Und gegen „Natur“ kann man sich nicht wehren. Evolutionspsychologie ist also in gewisser Weise ein Totschlag-Argument:
…dass der Mann fremd gegangen ist… seine Natur.
…dass die Frau das Alpha-Männchen, dem netten Kerl von nebenan vorzieht… ihre Natur.
…dass sich Männer prügeln… Natur!
…dass Frauen viel quasseln und tratschen… Natur!
Am besten schaltet sich dabei dann noch unser Kortex ab, und es sind nur noch die Regionen unseres „Reptiliengehirns“ aktiv. Wahrscheinlich kennen auch Sie dieses Gefühl, wenn sich der Kortex verabschiedet, oder?
Spaß beiseite: Das Tragische daran ist, dass Evolutionspsychologie so gut dafür verwendet werden kann, um komplexere Erklärungsansätze zu konterkarieren und zu unterwandern. Warum kompliziert, wenn’s auch einfach geht? Die Argumentation dahinter ist: Alt schlägt neu. Natur schlägt Kultur. Ich würde sagen: das kann ganz leicht zu wissenschaftlichem Populismus werden.

Doch auf welchen Annahmen fußt die Evolutionspsychologie und sind diese Annahmen haltbar?
Die Evolutionspsychologie hat große Anhänger und vehemente Gegner. In einem Artikel von Bolhuis et al. (2011) werden vier Grundannahmen der evolutionären Psychologie aufgezeigt, die durchaus sehr kontrovers zu diskutieren sind:

  1. Die heute wirkenden psychologischen Mechanismen müssen sich irgendwann in der Geschichte des Menschen herausgebildet haben, und seither stabil sein. Daher muss die Evolutionspsychologie annehmen, dass es irgendwann in der Geschichte der Menschheit eine hinreichend stabile Umwelt gab. Diese menschlichen Anpassungen müssen auf diese stabile Umwelt bezogen gewesen sein.

  2. Die Evolutionspsychologie vertritt die Auffassung, dass die kulturellen Veränderungen der letzten tausenden von Jahren zu rasant für eine evolutionäre Anpassung waren, und vertritt damit einen evolutionären Gradualismus. Das heißt, dass evolutionäre Veränderungen nur langsam und stückweise auftreten dürfen.

  3. Um verschiedene Verhaltensweisen, wie z.B. Fremdgehen, PartnerInnenwahl, Aggression etc., zu erklären müsste unser Verhalten aus vielen Einzelprogrammen zusammengesetzt sein. Diese Module hätten sich jeweils in Anpassung auf die Umwelt herausgebildet. Die Evolutionspsychologie nimmt also eine Modularität des menschlichen Geistes an.

  4. Die Evolutionspsychologie geht von einer universellen menschlichen Natur aus, die unabhängig von Kultur und individueller ontogenetischer Entwicklung unser Verhalten steuert.

All diese Grundannahmen kann man schwer anzweifeln:
Wann hat es in der Geschichte der Erde einen so stabilen und erdumfassenden Zustand gegeben, so dass sich menschliches Verhalten dauerhaft auf diesen Zustand eingestellt haben sollte? Man sollte hier schon merken, dass es niemals stabil und die ganze Erde betreffend gewesen sein kann, so dass sich die Natur dann diese Zeitspanne x als Maß der Dinge für unser Verhalten ausgesucht haben könnte. Deswegen kann es so gesehen eigentlich auch keine menschlichen Universalien geben. Auch zeigen aktuelle Untersuchungen, dass sich genetische Veränderungen binnen weniger Generationen vollziehen können, und dass sich gerade auch in der Zeitspanne der letzten 50.000 Jahre erhebliche Veränderungen am menschlichen Genom ergeben haben. Dies spricht gegen den postulierten Gradualismus. Auch die Vorstellung der Modularität des menschlichen Geistes ist schwer mit Erkenntnissen aus anderen Disziplinen vereinbar. Das würde nämlich bedeuten, das Verhaltensweisen und Wahrnehmungen unabhängig voneinander auftreten könnten, ohne sich gegenseitig zu beeinflussen. Aber gerade übergreifende kognitive Funktionen wie Lernen oder Gedächtnis funktionieren wahrscheinlich anhand generalisierter Mechanismen, die in den verschiedensten Situationen flexibel eingesetzt werden. Und das ist verknüpft mit kulturellen und individuellen Entwicklungen. Kultur, Individualität und Natur interagieren miteinander und können nicht vollkommen unabhängig voneinander gesehen werden. Der Mensch ist ein natürliches und ein kulturelles Wesen und gerade das macht die Erforschung seiner Psyche und seines sozialen Zusammenlebens so spannend. Und gerade das macht auch Kommunikation und Interaktion so spannend.

Wenn ihnen also das nächste Mal auf der Straße ein Säbelzahntiger begegnet, haben sie mehr als zwei Möglichkeiten!

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PS: Vielleicht ist Ihnen noch kein Säbelzahntiger, jedoch aber ein Pandabär auf der Straße begegnet! Für diesen Fall zeigen diese legendären Panda Käse Werbespots mögliche Verhaltensweisen . :-)

Zusammenfassung: Die Evolutionspsychologie versucht menschliches Verhalten und Erleben durch Erkenntnisse über die stammesgeschichtliche Entwicklungen des Menschen zu erklären. Dabei kann es zu erheblichen Vereinfachungen und Verkürzungen in der Betrachtung der menschlichen Psyche und des menschlichen Zusammenlebens kommen. Dabei beruft sich die Evolutionspsychologie im wesentlichen auf 4 Grundannahmen. Diese Grundannahmen werden kontrovers diskutiert und sind teilweise nicht mit Erkenntnissen aus anderen Disziplinen vereinbar.

Eine dialogische Perspektive

Mein Verständnis von Kommunikation und von Identität hat sich in den letzten Jahren grundlegend gewandelt. Immer wieder konfrontiert mit Modellen und Theorien, z.B. aus dem Behaviorismus, aus der Tiefenpsychologie, der Persönlichkeits- oder Kognitionspsychologie, bin ich mehr und mehr zu der Einsicht gekommen, dass diese Perspektiven unzureichend oder unzutreffend sind. Das kann doch nicht alles sein, wenn es um die Komplexität der menschlichen Kommunikation und der menschlichen Psyche geht!?

Deshalb vertrete ich eine grundlegend dialogische Anschauung, wenn es um Menschen, ihren, Geist, ihren Körper, ihre Emotionen und ihre Kommunikation geht. Das klingt im ersten Moment banal. Na klar, Dialog ist, wenn zwei miteinander reden. In dieser Eindimensionalität möchte ich den Dialog-Begriff jedoch nicht verstanden wissen. Ich glaube, dass wir in Sprache und Dialog leben, und dass es eine Grundstruktur, sowohl in unserer Psyche, als auch in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben ist.

Bild: Julia Rupprecht

Bild: Julia Rupprecht

Wer sich mit diesem Thema beschäftigen möchte, dem sei folgendes Buch empfohlen: 

Staemmler F.-M. (2015): Das dialogische Selbst. Postmodernes Menschenbild und psychotherapeutische Praxis. Stuttgart: Schattauer.

 

 

 

Darüber hinaus möchte ich einen Text von mir zur Verfügung stellen. Dieser Text beschäftigt sich mit einem dialogischen Kommunikationsverständnis und der Rolle der Stimme dabei. Der Text hat in erster Linie ein methodisches Ziel: Wie kann auf dieser Basis die Stimme in das Konzept des Erlebensbezogenen Concept Coachings (ECC) integriert werden? Bei ECC handelt es sich um eine Konzeptentwicklungsmethode, die den Dialog in das Zentrum des Kreativprozesses stellt. Es stellt sich nun die Frage nach methodischen Erweiterungen durch das von mir vorgestellte Konzept.

Text: Die Stimme im Erlebensbezogenen Concept Coaching (Julia Rupprecht)

So möchte ich diesen Text, als Impuls, Interessierten zur Verfügung stellen, mit dem Wunsch nach konstruktiven Austausch, Feedback, Inspirationen oder Assoziationen. Wer möchte, liest hinein und meldet sich bei mir.

Vielen Dank!

Mit dem kommunikativen Vorschlaghammer

Das Entwickeln innovativer Ideen in Teams braucht vor allem eine innovationsfreundliche Kommunikationskultur. Hier liegt eine wichtige Fähigkeit von Teams, um von der Ideenfindung auch zur Umsetzung zu kommen.
David Bohm entwickelte das Konzept des Bohm‘schen Dialogs in dem er unter anderem unproduktive Gesprächshaltungen beschreibt. Diese Haltungen verhindern, dass sich eine innovative Idee im Team entwickeln kann. Von Hartkemeyer wurden diese Erkenntnisse in
10 innovationsfeindliche Gesprächshaltungen zusammengeführt.

Kommt Ihnen etwas davon bekannt vor? Waren Sie in einer Ihrer letzten Besprechungen mit solchen Haltungen konfrontiert?

  • Mit Wissen beeindrucken

  • Den Anderen keinesfalls ernst nehmen

  • Unpersönlich und abstrakt bleiben

  • Ins Wort fallen und unterbrechen

  • Sich mit der eigenen Meinung voll identifizieren

  • Das Gegenüber durch Fragen verunsichern

  • Die eigene Meinung kompromisslos durchsetzen

  • Sich abschotten und abgrenzen

  • Schnell sein

  • Sich selbst nicht in Frage stellen

Vielleicht kommt Ihnen eine pfiffige Idee, wie Sie reagieren könnten, wenn andere so in der Gruppe agieren.
... aber da fragt man sich schon: In welcher innovationsfeindlichen Gesprächshaltung bin ich selbst besonders gut? Genau hinschauen lohnt sich. Selbsterkenntnis ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung.